Spheres

Die Düfte der Nacht

7.2.24

Victoria Gaiger besucht Madurai, „die Stadt, die niemals schläft“, und folgt den Spuren der Tuberose vom Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung – einer kostbaren Blume, die in vielen der beliebtesten Parfüms von The House of Creed eine wichtige Rolle spielt.

Die kostbare Tuberose bildet das Herzstück in einigen Parfüms von The House of Creed, vom himmlischen Iris Tubéreuse über das elegante Wind Flowers bis hin zu der neuesten bezaubernden Kreation Queen of Silk. Jedes Parfüm hat dabei seine ganz eigene Rezeptur, und die Tuberose wird in unterschiedlich starkem Umfang eingesetzt. Dadurch wird ihr unverwechselbarer Charakter besonders gut zur Geltung gebracht. Lesen Sie weiter und entdecken Sie die Geheimnisse dieser heiß begehrten Ingredienz mit Victoria Gaiger – von ihrer traditionsreichen Geschichte bis zu den nachhaltigen Anbaumethoden in Indien.

Eine Einführung in die Tuberose

Sie ragen wie Gormley-Figuren in die Höhe mit ihren langen, hohen Stängeln auf der fruchtbaren roten Erde. Die Landschaft ist mit zahlreichen aneinandergereihten Ähren aus cremefarbenen, duftenden, sternförmigen, wachsartigen Blüten und Knospen übersät. Die geschlossenen Knospen beherbergen ein Geheimnis – einen so starken aphrodisierenden Duft, dass es den Damen in Indien, wo die Blumen seit Jahrhunderten angebaut werden, einst verboten war, nach Einbruch der Dunkelheit mit ihren Liebhabern durch die Tuberosefelder zu streifen.

Der Anbau von Tuberosen ist sehr arbeitsaufwendig und erfordert ständige Aufmerksamkeit, eine Menge Unkraut jäten und Bewässern. Die Tuberose – Polianthes tuberosa L. – ist eine mehrjährige Pflanze aus der Familie der Agavaceae, deren lilienartige Blüten aus einem Rhizom wachsen. Pro Ähre gibt es etwa 20 schneeweiße Blüten, und die Stängel können etwa einen Meter hoch werden. Sie ist eine der am intensivsten duftenden Pflanzen der Welt: Ihre üppigen Blüten verströmen noch 48 Stunden nach dem Pflücken einen betörenden Duft.

Es ist also kein Wunder, dass sie eine der wichtigsten Ingredienzien für Parfümeure und auch entsprechend teuer ist. Man benötigt etwa 7 Tonnen Tuberosenblüten für 1 Kilogramm Absolue und 1.000 Pflanzen, um durchschnittlich 30 bis 40 Kilogramm von den Blüten zu erhalten. Die Rhizome werden von Februar bis März gepflanzt, damit sie im Juli blühen (im zweiten und dritten Jahr sogar schon im März). Die Ernte findet von März bis Dezember statt. Nach drei Jahren muss der Landwirt die Rhizome ersetzen.

Hinter den Spuren der Tuberose

Wenn die Stadt Madurai an der südöstlichen Spitze Indiens endlich schläft, beginnen die Neonlichter zu flackern und die Frühaufsteher brechen mit ihren Motorrädern auf. Wir fahren durch die Dunkelheit zu einem Feld, das etwa eine Stunde außerhalb der Stadt liegt, und erreichen die Felder gerade zum richtigen Zeitpunkt, als die Sonne durch die rosafarbenen Wolken zum Vorschein kommt. Wir beobachten, wie die zarten geschlossenen Knospen eine nach der anderen gepflückt werden, vorsichtig, aber schnell. Sie werden von einer kleinen Truppe von Pflückern gesammelt, die geräuschlos von einer Pflanze zur nächsten ziehen und ihre Ernte einholen.

Die leicht feuchte, eisenhaltige Erde klebt in Klümpchen an ihren nackten Füßen, während sie die Knospen behutsam in ihren Taschen oder zusammengeknüllten Saris verstauen. Erst wenn sie ihr endgültiges Ziel erreicht haben, beginnen sich die Blumenkronen zu öffnen und die wachsartigen Blüten verströmen ihren berauschenden Duft. Im Morgengrauen spielen nun die streunenden Hunde auf dem Weg. Die Knospen werden in Säcke gepackt und zu Sammelstellen gebracht, von wo aus sie zu den lokalen Blumenmärkten weiterreisen.

Auf dem Mattuthavani-Markt geht es deutlich hektischer zu – so weit das Auge reicht, sind leuchtende Farben zu sehen: strahlende orange Ringelblumen, gelbe Chrysanthemen, kirschrote Rosen und Säcke voller cremefarbener Tuberose und weißem Jasmin. Der Geruch von süßem Majoran vermischt sich mit den starken Düften der Blumen. Mit geschickten Fingern werden Girlanden für die Tempel gebastelt. Die Füße rutschen auf nassen, weggeworfenen Blumen aus und auf dem lärmenden Marktplatz von Madurai werden haufenweise gesammelte Knospen auf den gefliesten Boden geschüttet. Männer rufen, während die Knospen aufgesammelt und in Säcke gepackt, auf eisernen Waagen gewogen, Preise genannt und Geld ausgetauscht werden. Ellbogen stoßen aneinander, Händler notieren die Käufe und Verkäufe in Notizbüchern und die Käufer tragen ihre Blumen nach Hause.

Die Tuberose wird als Zierblume für Girlanden, Gottesdienste und zur Dekoration verkauft. Die Preise schwanken je nach Angebot und Nachfrage und betragen zur Hochsaison für Hochzeiten in Indien manchmal bis zu 10 € pro Kilo. Die für die Parfümindustrie bestimmte Tuberose wird jedoch erst am Tagesende gekauft, wenn ihr Preis am niedrigsten ist, und nur während der Hauptproduktionszeiten von April bis Juni und September bis Dezember. Frauen in farbenfrohen Saris und mit in den Haaren geflochtenen Blumen sammeln die Blüten ein, um die Qualität zu prüfen und halten dabei Taschen voller bunter Blütenköpfen in der Hand.

Man weist uns darauf hin, dass wir die Blumen, die wir bekommen oder an die Nase gehalten haben, nicht zurück in den Stapel legen dürfen. Für die Götter in den Tempeln müssen die Blumen nämlich unberührt sein. Ich halte meine Handvoll Tuberoseknospen fest in der Hand und atme den herrlichen Duft ein.

Ein kostbarer Duft

Die Knospen haben zunächst einen milden, grünen, wächsernen Geruch – doch sobald sich die Blüten öffnen, verströmen sie einen betörenden Duft. Der Duft der Tuberose ist sehr reichhaltig, hypnotisierend, geradezu berauschend, aber auch tiefgründig und nuanciert: Er besitzt samtige, cremige Akzente; fruchtige Kokosnussnoten; florale Aromen von Orangenblüten und Jasmin; eine honigsüße – fast satte – warme Gardeniennote; eine balsamische Note, die eine grüne, medizinisch anmutende Qualität hinzufügt; und dann sind da noch die erotischen, animalischen Indol-Töne – süß, erdig, sinnlich und wollüstig.

Trotz ihrer imposanten Charakteristik ist die Tuberose sehr vielseitig: Sie wird oft verwendet, um einer Duftkomposition mehr Tiefe und Komplexität zu verleihen. Manchmal wird sie aber auch in amberhaltigen, holzigen und floralen Duftkreationen auf eine delikate Weise eingesetzt. Sie besitzt zudem eine außergewöhnliche Langlebigkeit und eine großartige Sillage. Ihren intensiven Duft verdankt sie der komplexen Zusammensetzung aus aromatischen Verbindungen: Tuberose enthält von Natur aus eine hohe Konzentration an flüchtigen organischen Verbindungen wie Benzylacetat, Methylbenzoat und verschiedene florale Aldehyde. Sie spielen eine große Rolle für diesen intensiven und unverwechselbaren Duft.

Um den Duft optimal einzufangen, „muss die Tuberose verarbeitet werden, sobald sie blüht“, erklärt Sambit Misra von Jasmine Concrete Exports Ltd, einem der größten indischen Lieferanten für die anspruchsvolle Parfümindustrie. Sobald sich die Blüte öffnet, verliert sie ihren Duft. Die chemische Reaktion, die dieser Blüte ein solch betörendes Aroma beim Blühen verleiht, ist dieselbe, die beim Verwelken einen etwas weniger angenehmen Geruch verursacht. Deswegen müssen wir schnell sein. Der Duft hängt außerdem auch von allen möglichen Umweltfaktoren ab – von der Sonneneinstrahlung, dem Wasser und sogar vom Monat, in dem die Blume gepflückt wird.

Wie die meisten weißen Blumen wird auch die Tuberose bei der Extraktion durch Hitze beschädigt. In der Vergangenheit wurde die Enfleurage als Extraktionsmethode von Duftstoffen aus der Blüte verwendet. Heute wird dieser Extraktionsprozess durch die Verwendung von Lösungsmitteln ersetzt, um einen „Concrète“ zu erzeugen (eine dunkle, karamellfarbene Masse, die bei Raumtemperatur erstarrt). Dieser Concrète kann dann mit Ethanol behandelt werden, um das „Absolue“ zu gewinnen. Die Fabrik in Dindigul verfügt über eine industrielle Verarbeitungsanlage mit Laboratorien und polierten Metallbehältern, in denen Kräne und Flaschenzüge, Destilliergeräte und Kühler die Chargen von „Concrète“ und „Absolue“ für die Parfümindustrie verarbeiten.

Die Geschichte der Tuberose

Historiker gehen davon aus, dass die Tuberose ursprünglich aus Mittelamerika in Mexiko stammt. Dort verwendeten die Azteken ihr ätherisches Öl zur Intensivierung des Geschmacks ihrer Schokolade und die Blüten wurden in ihren religiösen Ritualen eingesetzt. Die Azteken nannten sie Omixochitl oder „Knochenblume“.

Im 16. Jahrhundert erreichte sie schließlich Europa mit der spanischen Eroberung von Mexiko. In Frankreich ließ Ludwig XIV. mehr als 10.000 Zwiebeln in den Garten seines Parfümeurs im Trianon bringen. So versetzte er ganz Versailles in ein berauschend-exotisch duftendes Paradies. Im 17. Jahrhundert wurde die Tuberose dann in Grasse, in der Provence, im Languedoc und in Ligurien angebaut und hauptsächlich zum Parfümieren von Handschuhen verwendet. Sie reiste noch weiter und erreichte Ostindien, aber erst nach den späten 1940er-Jahren verlagerte sich der Anbau der Tuberose in die wärmeren, trockeneren Klimazonen wie Marokko, Tunesien, Algerien, die Komoren und Ägypten. In den indischen Bundesstaaten Tamil Nadu und Karnataka nahm der Tuberoseanbau richtig Fahrt auf, und in den 1980ern wurde Indien zum größten Produzenten der Welt.

Nur etwa 10 Prozent der Tuberosenblüten aus Madurai sind für die Parfümindustrie bestimmt, der Rest wird für religiöse Zeremonien und das tägliche Leben verwendet. Madurai ist für seine Assoziation mit der Tuberose bekannt. Sowohl die „Rajnigandha“-Tuberose als auch der „Madurai Malli“-Jasmin spielen in der „Tempelstadt“ eine bedeutende kulturelle und olfaktorische Rolle. Die Tuberose ist tief in das kulturelle Gewebe von Madurai eingebettet und untrennbar mit den intimsten Momenten des indischen Lebens verwoben.

Ein nachhaltiger Anbau von Tuberosen

Sambit Misra erklärt, wie er ein nachhaltiges Anbaumodell für die Bauern fördert, mit denen er zusammenarbeitet. Den Bauern wird ein alternativer Ansatz für die Blumenzucht angeboten, der sowohl die Gewinne der Bauern als auch die Qualität der Blumen verbessert. Außerdem werden Permakultur-Prinzipien wie die Wiederherstellung des Bodens und die Bewirtschaftung der Wasserversorgung angewandt. So schaffen sie ein nachhaltiges Modell für die zukünftigen Generationen.

Letztendlich wird sich die Qualität der Blumen dank einer sauberen und kurzen Lieferkette, eines reichhaltigeren biologischen Anbaus, kontaminationsfreier Anbauflächen und einer unvergleichlichen Sorgfalt mit jeder Saison verbessern. Außerdem wird das soziale und wirtschaftliche Wohlbefinden der Bauerngemeinschaften durch einen festen Preis und reduzierte Produktionskosten gesteigert – eine großartige Stärkung für die lokalen Gemeinschaften. Das schafft zum einen Marktsicherheit und sorgt zum anderen für ein festes Einkommen und ein echtes Gefühl des Stolzes bei den Bauernfamilien. So wird der Lebensunterhalt der lokalen Familien heute und auch für kommende Generationen gesichert.

Doch der Tuberoseanbau steht gleichzeitig auch vor zahlreichen Herausforderungen aufgrund von Klimaschwankungen, Trockenheit, Schädlings- und Krankheitsbekämpfung, Marktschwankungen und dem Transport. Die Implementierung moderner Anbaumethoden, der Zugang zu technischem Wissen und die Schaffung besserer Marktbeziehungen können einen großen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten und den nachhaltigen Tuberoseanbau in Indien vorantreiben.

„Wir müssen uns stets darüber bewusst sein, wie fragil unsere natürlichen Ressourcen sind“, sagt Sambit. „Die Bedeutung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken darf nicht unterschätzt werden. Wenn wir die Landwirte und Gemeinden einbeziehen, können wir eine stabilere Zukunft planen.“

Während ich die sich nun öffnenden Knospen der Tuberose in meinen Händen halte, verleiht der berauschende Duft dieser mystischen, nachtblühenden Blume dem späten indischen Abend eine sinnliche Note. Ihr Hindi-Name „Rajnigandha“ bedeutet übersetzt „Duft der Nacht“ – und die besondere Magie dieser kleinen, aber wirkungsvollen Blume erlebt man erst dann richtig, wenn die Sonne untergeht und die Stadt wieder zum Leben erwacht.

Entdecken Sie die Tuberose als Herzstück in einigen der exquisitesten floralen Parfüms von The House of Creed, von Iris Tubéreuse bis zu Wind Flowers und Queen of Silk. Alternativ können Sie auch gerne eine Boutique in Ihrer Nähe besuchen, um diese himmlischen Kreationen hautnah zu erleben.